"Schmerzhaftes Thema": Viele Kindergarten-Profis beobachten unangemessenes Verhalten von Kollegen gegenüber Kindern - aber greifen nicht ein

"Schmerzhaftes Thema": Viele Kindergarten-Profis beobachten unangemessenes Verhalten von Kollegen gegenüber Kindern - aber greifen nicht ein
"Schmerzhaftes Thema": Viele Kita-Fachkräfte beobachten unangemessenes Verhalten von Kollegen gegenüber Kindern – greifen aber nicht ein
GÜTERSLOH. Unangemessenes Verhalten von Mitarbeitenden gegenüber Kindern wird in Kindertageseinrichtungen offenbar weit häufiger beobachtet, als in der Öffentlichkeit bekannt ist.
Eine neue Studie deckt besorgniserregende Schutzlücken in deutschen Kitas auf. Mehr als ein Viertel der Erzieher:innen und Leitungen erleben regelmäßig Situationen, in denen sie sich genötigt fühlen, einzugreifen, um ein Kind vor unangemessenem Verhalten von Kollegen zu schützen. Doch viele zögern – mit der Folge, dass Bedenken unausgesprochen bleiben und Kinder potenziell in Gefahr sind.
Die Ergebnisse lösen dringende Reformforderungen führender Fachverbände der Frühpädagogik aus. Diese warnen, dass systemische Versäumnisse das Wohl der jüngsten Kinder gefährden.
Die Untersuchung, für die Erzieher:innen und Kita-Leitungen bundesweit befragt wurden, zeigt: 28 Prozent der Befragten beobachten problematische Interaktionen „an den meisten Tagen“, „fast täglich“ oder sogar „ständig“. Die Vorfälle reichen von subtilen, aber beunruhigenden Verhaltensweisen bis hin zu offensichtlichem Fehlverhalten. Was genau als „unangemessen“ oder „schädlich“ gilt, definiert die Studie jedoch nicht – erfasst werden vielmehr Momente, die bei Fachkräften den Schutzinstinkt auslösen.
Trotz dieser Beobachtungen bleibt ein Einschreiten die Ausnahme. Die größte Hürde ist die Unsicherheit, Situationen richtig einzuschätzen, gefolgt von der Angst vor Konflikten mit Kollegen oder der Leitung. Andere nennen Loyalitätskonflikte, die Sorge vor Ausgrenzung oder strukturelle Barrieren, die es schwer machen, Missstände anzusprechen. Die Folge: Nur die schwerwiegendsten Fälle werden thematisiert, während viele Bedenken im Verborgenen bleiben – und das wahre Ausmaß des Problems unterschätzt wird.
Verschärft wird die Lage durch fehlende verbindliche Standards. Fast alle befragten Einrichtungen kämpfen mit unklaren Erwartungen an angemessenes Verhalten im Umgang mit Kindern. Diese Grauzonen erzeugen Stress bei den Fachkräften und lassen Kinder schutzlos zurück. Respektvolle Kommunikation, regelmäßiges Feedback und eine responsive Führung – zentrale Faktoren zur Vermeidung von Grenüberschreitungen – sind oft unzureichend oder gar nicht vorhanden.
Als Reaktion fordern nun Spitzenverbände der Branche umfassende Reformen. Der Deutsche Kitaverband, der Bundesverband für Kindertagespflege, der Verband Bildung und Erziehung (VBE) sowie die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe (AGJ) treiben die Debatte voran. Ihre Kernforderungen: eine dauerhafte öffentliche Finanzierung der Kita-Plätze, verbesserte Betreuungsschlüssel und bundesweit einheitliche Personalstandards. Zudem verlangen sie höhere Löhne, um qualifiziertes Personal zu gewinnen und zu halten, eine bessere Förderung der Unter-Drei-Jährigen sowie den Ausbau psychologischer Unterstützungsangebote für Kinder und Fachkräfte.
Die Verbände betonen: Ohne diese Maßnahmen werde die Qualität der Betreuung weiter leiden. Die Sicherheit und Entwicklung der Kinder hänge von sofortigen strukturellen Verbesserungen und einer stärkeren Professionalisierung ab.
Die Studie offenbart ein System, in dem sich Mitarbeitende selbst dann ohnmächtig fühlen, wenn sie Kinder in Gefahr wähnen. 69 Prozent der Befragten geben an, unter den beobachteten Vorfällen emotional zu leiden – der Druck auf die Fachkräfte ist enorm. Nun appellieren die Berufsverbände an die Politik, Reformen umzusetzen, die den Kinderschutz priorisieren, klare Verhaltensregeln schaffen und die Hürden abbauen, die Fachkräfte vom Handeln abhalten.
Ohne diese Veränderungen, so die Warnung, werde es den Kitas kaum gelingen, die sichere und hochwertige Betreuung zu gewährleisten, die junge Kinder dringend brauchen.